Wie das über’s Land kam

Wie konnte aus allgemeiner Verunsicherung politische Macht entstehen?

 

Seit geraumer Zeit herrscht Übereinstimmung, dass Pegida und AfD ihren Zulauf nicht so sehr von der Seite der „Verlierer“ und der „Opfer“ des immer noch brutaler werdenden Wettbewerbs um Arbeit und Leben, als vielmehr von einer „verunsicherten Mittelschicht“ erhält. Allgemein gesprochen von Leuten, denen es real noch ziemlich gut geht, für sich genommen und natürlich noch mehr im internationalen Vergleich, denen es unser Staat auch nicht allzu schwer macht, sich mit den Verhältnissen einzurichten, Sozialabbau hin und Nullzinsen auf der Bank her, und die obendrein von den Problemen, die sie so lauthals formulieren, in aller Regel am wenigsten betroffen sind. Gleichzeitig aber scheinen sich Soziologen und Journalisten ein ziemlich genaues Bild von dieser offenbar ideologisch ziemlich anfälligen Schicht zu machen ... weiterlesen

 

 

 


Sampeln des Subjekts

Jens Balzer beschreibt, was mit der Musik und dem Menschen im digitalen Neoliberalismus geschieht

 

Was ist Pop? Pop ist eine Konstruktion zur Verbindung widersprüchlicher ästhetischer, sozialer und semantischer Praxen. Äh, was? Das ist das Grundparadox von Pop: Je einfacher ein Pop-Phänomen daherkommt, desto schwieriger ist es zu entschlüsseln. Deswegen kann man die Einstürzenden Neubauten vergleichsweise einfach erklären (als Kunstprojekt), Helene Fischer relativ schwer (als Kunstprodukt).

 

Bücher wie das von Jens Balzer, die eine klare Perspektive aufweisen, sind daher so notwendig. Gäbe es niemanden, der so intelligent wie begeisterungsfähig über Pop schreibt, wäre man ziemlich verloren im Meer der Klänge und der Bilder. Um beim Schreiben über Pop der Falle zwischen nerdiger Fan-Klugscheißerei und hyperintellektueller Überfliegerei zu entgehen, gibt es ein paar Taktiken: radikaler Subjektivismus, hemmungslose Eklektik, die Anwendung wissenschaftlicher Methoden wie der Soziologie und schließlich die Technik einer anmaßenden Selbstermächtigung – Pop-Schreiben als Verlängerung von Pop-Performances ... weiterlesen auf getidan

 


Miguel Gomes' grandiose Filmtrilogie 1001 Nacht

Das unmögliche Kunstwerk

 

Wie eine Kritik über drei Filme beginnen, deren Regisseur sich schon in der ersten Szene aus dem Staub zu machen versucht, weil es unmöglich ist, einen verführerisch schönen und zugleich wahrhaftigen Film (über sein Land: Portugal) zu machen? Über einen Film, der im Lauf seiner Entwicklung immer wieder den Ton, die Erzählweise, ja sogar das Format ändert, gleichzeitig aber von einem feinen Geflecht von Analogien, Metaphern, Kompositionselementen zusammengehalten wird? Über einen Film, der einerseits von einem Regisseur auf der Flucht und seiner ihn verfolgenden Co-Autorin erzählt wird, andererseits aber auch von einer Märchenfigur, der schönen Scheherazade, die bekanntlich um ihr Leben erzählte, 1001 Nacht lang? Drei Filme von jeweils mehr als zwei Stunden Länge, entstanden aufgrund einer Reise durch Portugal, gestaltet von einem kollektiven Erzähler, der Geschichten und Episoden überlagert, manches nur andeutet, anderes auserzählt, der dokumentarisch, fiktional, politisch und märchenhaft erzählt, manchmal dramatisch und verzweifelt, manchmal sehr komisch und deftig ... weiterlesen auf getidan

 


Manfred Deix - Österreichischer Kabarettpreis 2012

Es kann, was man als Künstler so macht, aus Liebe und aus Hass, aus Entsetzen oder Begehren entstehen. Meistens indes ist eine sehr eigene Mischung aus beidem, was insbesondere bei Vertretern der Hochkomik der Fall zu sein pflegt. Denn um etwas von Grund auf zu entblößen, muss man es mit einem Teil seines Herzens schmerzhaft verachten und mit einem anderen Teil innig lieben.

Zum Beispiel die „Deixfigur“, die ganz direkt und radikal ein Menschenbild ist. Ein sehr spezielles. Lachende, gierige, wollüstig-dumme Fleischgebirge aus einem Land, nennen wir es Niederösterreich, das Aufklärung und Moderne nur gestreift hat, und deren die Welt bevölkernde Geschöpfe dennoch die technischen und sozialen Segnungen der Jetztzeit mit vollen Herzen und Bäuchen genießen. Figuren aus der Hölle des Kleinbürgertums, hässlich, wie man so sagt, korrupt und niederträchtig. Aber auch selig, vollkommen glücklich in ihrer Beschränktheit und Anmaßung. Ohne Scham und ohne die geringste Reue über verpfuschte Leben und lustvoll zerstörte Körper. Man weiß nie so recht, ob man diese Wesen eher fürchten oder doch beneiden soll ... weiterlesen